Beschwerdemanagement

Beschwerdemanagement
von Professor Dr. Bernd Stauss
Beschwerdemanagement umfasst die Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Kundenbeschwerden ergreift. Das generelle Ziel des Beschwerdemanagements liegt darin, Gewinn und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens dadurch zu erhöhen, dass Kundenabwanderungen unzufriedener Kunden vermieden und die in Beschwerden enthaltenen Hinweise auf betriebliche Schwächen und Marktchancen genutzt werden. Auf einer spezielleren Ebene lassen sich umsatz- und kostenrelevante Teilziele unterscheiden. Zu den wichtigsten umsatzrelevanten Teilzielen gehören die Stabilisierung gefährdeter Kundenbeziehungen über die Herstellung von Beschwerdezufriedenheit, die Schaffung zusätzlicher werblicher Effekte mittels Beeinflussung der Mundkommunikation und die Verbesserung der Produktqualität. Wichtige kostenrelevante Teilziele liegen in der Vermeidung von Fehlerkosten externer Art (z.B. Garantie- und Haftungskosten sowie interner Art (z.B. Kosten für Nachbesserungen).
Die Ziele des Beschwerdemanagements lassen sich nur erreichen, wenn eine Reihe wesentlicher Aufgaben erfüllt wird.
Die Durchführung von vier Aufgaben beeinflusst direkt das Beschwerdeerleben des Kunden. Sie gehören daher zum direkten Beschwerdemanagementprozess, der für das Kundenbindungsmanagement bes. bedeutsam ist: Beschwerdestimulierung, Beschwerdeannahme, Beschwerdebearbeitung und Beschwerdereaktion.
Da sich häufig nur ein Bruchteil enttäuschter Kunden beschwert, gilt es, im Rahmen der Beschwerdestimulierung unzufriedene Kunden dazu zu bewegen, ihre Probleme gegenüber dem Unternehmen zu artikulieren. Hierfür sind leicht nutzbare Beschwerdekanäle einzurichten und über verschiedene Medien bekannt zu machen. Die Phase der Beschwerdeannahme betrifft die Organisation und Handhabung des Beschwerdeeingangs. Da Mitarbeiter mit ihrem Verhalten im Erstkontakt maßgeblich Einfluss darauf nehmen, ob die Unzufriedenheit des Kunden abgebaut wird, müssen diese über sozialpsychologische Fähigkeiten, Fachkenntnisse und Handlungskompetenzen verfügen. Darüber hinaus müssen sie das Kundenproblem vollständig, schnell und strukturiert erfassen. Zentrale Inhalte der Beschwerdebearbeitung sind die Gestaltung der internen Bearbeitungsprozesse, die Festlegung von Verantwortlichkeiten, die Definition von Bearbeitungsterminen sowie die Installation von Mechanismen zur Überwachung der Termineinhaltung. Im Bereich der Beschwerdereaktion gilt es, grundsätzliche Leitlinien und Verhaltensregeln für die Beschwerdebeantwortung zu entwickeln und zu entscheiden, welche Lösung dem Kunden im Hinblick auf seine Beschwerde angeboten werden soll.
Vier weitere Aufgaben machen den indirekten Beschwerdemanagementprozess aus, der ohne Kundenkontakt abgewickelt wird und v.a. für das Qualitätsmanagement entscheidende Relevanz besitzt: Beschwerdeauswertung, Beschwerdemanagement-Controlling, Beschwerdereporting und Beschwerdeinformationsnutzung.
Beschwerden enthalten Hinweise auf Produkt- und Planungsmängel sowie Marktrisiken und -chancen. Daher ist es Aufgabe der Beschwerdeauswertung, die in Beschwerden enthaltenen Informationen zu analysieren und die Ergebnisse systematisch für unternehmerische Entscheidungen bereitzustellen. Der Tätigkeitsbereich des Beschwerdemanagement-Controlling umfasst drei Komponenten. Das Evidenzcontrolling dient der Ermittlung, inwieweit das Beschwerdemanagement das Ausmaß der Kundenunzufriedenheit verlässlich aufdeckt. Das Aufgabencontrolling überwacht die Einhaltung von Qualitäts- und Produktivitätsstandard für die Aufgabenerfüllung. Das Kosten-Nutzen-Controlling hat die Funktion, die Kosten- und Nutzeneffekte eines Beschwerdemanagementsystems abzuschätzen sowie dessen Wirtschaftlichkeit und Rentabilität zu berechnen.
Die im Rahmen von Beschwerdeauswertung und Beschwerdemanagement-Controlling gewonnenen Informationen sind im Rahmen des Beschwerdereporting den Entscheidungsträgern zugänglich zu machen. Dazu bedarf es der Festlegung, für welche Zielgruppen (Geschäftsleitung, Qualitätssicherung, Marketingabteilung etc.), welche Auswertungen (quantitativ und qualitativ) in welchen Zeitintervallen (täglich, wöchentlich, monatlich) aufbereitet und weitergeleitet werden müssen. Durch eine systematische Beschwerdeinformationsnutzung ist letztlich sicherzustellen, dass die Beschwerdeinformationen auch für Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden, etwa indem sie systematisch in die Arbeit von Qualitätsverbesserungsteams und Qualitätszirkeln integriert werden.
Empirische Studien zeigen, dass die Ziele des Beschwerdemanagements noch keineswegs umfassend erreicht werden und dass in einzelnen Aufgabenbereichen weiterhin ein erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Die Ergebnisse der jährlich durchgeführten umfassenden Kundenzufriedenheitsbefragung in Deutschland („Kundenmonitor“) belegen, dass viele Unternehmen das Ziel verfehlen, über die Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit die Beziehung zu ihren Beschwerdeführern zu stabilisieren. So sind in einigen Branchen mehr als die Hälfte bzw. sogar mehr als 60 Prozent der Kunden über die Reaktion der Unternehmen auf ihre Beschwerde enttäuscht.
Eine Studie unter Beschwerdemanagern in deutschen Großunternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdemanagement inzwischen eine beachtliche strategische Bedeutung im Zusammenhang von Qualitäts- und Kundenbindungsmanagement zukommt. Sie macht aber auch deutlich, dass die verantwortlichen Manager noch erhebliche Realisierungsdefizite – bes. im indirekten Beschwerdemanagementprozess – sehen. Beispielsweise fehlt es vielfach noch an einer systematischen Analyse von Beschwerdeursachen, einem differenzierten Beschwerdereporting oder einem umfassenden Beschwerdemanagement-Controlling. Etwa 70 Prozent der befragten Unternehmen können keine Aussagen über den Erfolg des Beschwerdemanagement in Bezug auf die Erreichung von Kundenzufriedenheit oder die Profitabilität dieses Handlungsbereichs machen. Bemerkenswerte Defizite erweisen sich auch in Bezug auf die Beschwerdeinformationsnutzung. So werden Beschwerdeinformationen zwar zur zukünftigen Fehlervermeidung und – in erheblich geringerem Maße – auch für Prozessinnovationen genutzt, doch kaum für Produktinnovationen.
Literatur: Stauss, B./ Seidel, W., Beschwerdemanagement, 3. Aufl., Wiesbaden 2002; Stauss, B./ Schöler, A., Beschwerdemanagement Excellence, Wiesbaden 2003. Literatursuche zu "Beschwerdemanagement" auf www.gabler.de

Lexikon der Economics. 2013.

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